Soweit ich weiß, kann es in Deutschland und in Dänemark bis zu zwei Jahren dauern, bis man einen Termin erhält für eine Autismus-Diagnose. Zumindest wenn man den normalen Weg geht, also in Deutschland über die Kassenärzte, in Dänemark über den Hausarzt/Psychologen. Ich habe gelesen, dass man in Deutschland auch frühere Termine außerhalb des Kassensystems erhalten kann, dafür muss man aber selbst für die Kosten aufkommen. Ich meine, diese Möglichkeit gibt es in Dänemark ebenfalls. Mein Sohn hat bisher keine Diagnose, daher kenne ich mich nicht im Detail aus, weiß aber, dass es dazu, v.a. in Deutschland, viele Beiträge gibt, u.a. auf YouTube.

Dass mein Sohn bisher keine Diagnose hat, liegt zum einen daran, dass wir diese bisher nicht brauchten. Zum anderen hadere ich noch immer mit dem Gedanken, dass mein Sohn zum Arzt bzw. sogar in die Klinik muss, um sich – wie ein Kranker – eine Diagnose geben zu lassen, obwohl er nicht krank ist. Zum Dritten hat sich mein Sohn bisher dagegen ausgesprochen. 

Wichtig bei diesem Thema ist m.E., sich den Grund für diesen Schritt bewusst zu machen. Warum möchte ich diagnostiziert werden bzw. mein Kind diagnostizieren lassen?

Klarheit ist oft einer der Hauptgründe. Die betroffene Person findet sich nicht oder nur eingeschränkt in den normalen Systemen zurecht, der Verdacht auf ASS kommt auf, man möchte das gern abklären lassen und am besten sicher gehen, dass dem so ist.

Leider ist das mit der Klarheit nicht ganz so einfach. Wie bereits an mehreren Stellen geschrieben, gibt es viele Überschneidungen bei den sog. Symptomen. Hinzu kommt, dass ASS oft in Gesellschaft ist, bspw. von AD(H)S, eine eindeutige Diagnose also oft nicht zu stellen ist.

Ein weiterer wichtiger Grund für eine Diagnose ist, dass man nur mit dieser offiziellen Bescheinigung Hilfsmittel erhält und/oder Unterstützung, bspw. in Schule und Beruf.

Hinzu kommt, dass wir Menschen Kategosierungen benötigen, um uns in diesem komplexen Leben zurechtzufinden. Das hilft auch fürs Verständnis. Bspw. gehen viele Menschen ganz anders mit meinem Sohn um, wenn sie wissen, dass er Autist ist. Sie zeigen viel mehr Verständnis und sind eher bereit, sein Verhalten zu tolerieren.

Doch Kategosierungen schränken leider auch ein, sowohl unsere Sichtweise, unser Verhalten als auch unsere Wahrnehmung. Jede Medaille hat mindestens zwei Seiten.

Bei allem nicht zu vergessen ist, dass jeder Autist anders ist. Daher ist man auch dazu übergegangen, die verschiedenen Autismus-Diagnosen unter ASS (Autismus-Spektrum-Störung) zusammenzufassen.

Und genau mit dem Begriff Störung hadere ich. Nur weil etwas von der Norma abweicht, ist es m.E. keine Störung, auch wenn es vielleicht andere stört oder in unseren Systemen zu Störungen führen kann. Das zeigt mir nur, dass wir nicht flexibel genu sind, darauf einzugehen bzw. damit umzugehen.

Daher bin ich dafür, Neurodivergenz als natürliche Variante zu sehen und nicht als Krankheitsbild. Und doch würde ich wahrscheinlich für eine Diagnose gehen, wenn es meinem Sohn zur Unterstützung gereicht.