An dieser Stelle würde ich gern einen Satz aufschreiben, der Trauma definiert. Ein Zitat aus einem Lehrbuch oder so. Aber das ist schwierig. Alles, was ich bisher gelesen habe, ist sehr ausführlich und zu komplex, um es in einen Satz zu packen, oder es ist für mich nicht ganz passend.
Die Deutsche Traumastiftung schreibt: „Ein Trauma (griech.: Wunde) ist ein belastendes Ereignis oder eine Situation, die von der betreffenden Person nicht bewältigt und verarbeitet werden kann. Es ist oft Resultat von Gewalteinwirkung – sowohl physischer wie psychischer Natur. Bildhaft lässt es sich als eineˏseelische Verletzungˊ verstehen.“
Auf den Seiten der FreyMuT Academy habe ich Folgendes gelesen: „Ein Trauma ist die Folge eines Ereignisses, das sich sehr belastend auf die Psyche des Betroffenen auswirken kann. Das Erleben der Situation löst intensiven Stress und starke Angstgefühle aus, wodurch es zu einer Überwältigung der natürlichen Schutzmechanismen der Psyche kommt. Diese Überforderung hindert den Betroffenen daran, das Erlebnis auf normale Art zu verarbeiten; er verharrt auf einem ungesund hohen Stresslevel, was sich in diversen Symptomen niederschlagen und sogar schwerwiegende Folgestörungen mit sich bringen kann.“
Der Traumaexperte Peter Levine schreibt in seinem Buch „Sprache ohne Worte“, dass Trauma eine Verletzung ist, verursacht durch lähmende Furcht und Gefühle der Hilflosigkeit und Verlust, und dass traumatische Reaktionen Teil eines hochintelligenten psychosomatischen Selbstschutzsystems sind, das oft unbeabsichtigt blockiert wird.
Wenn ich früher an Trauma und Traumatisierung gedacht habe, habe ich das immer mit einem lebensbedrohlichen Ereignis in Verbindung gebracht. Doch das muss es nicht sein.
Dami Charf und Luisa Duvenbeck schreiben in ihrem Buch „Trauma verstehen – Eine Einführung in Therapie und Theorie“:
„Im Allgemeinen wird bei jeder klassischen Definition betont, dass eine Gefahr für Leib und Leben bestanden haben muss. Doch auch hier sagt die Erfahrung aus der Praxis, dass Symptome auch dann entstehen können, wenn dies nicht so empfunden wurde. So können Operationen und Narkosen traumatisch sein, ebenso wie Stürze, Trennungen, auch selbst gewollte Schwangerschaftsabbrüche, ärztliche Untersuchungen, zahnärztliche Behandlungen, Mobbing, Demütigungen, sogar leichte Auffahrunfälle, die Bezeugung von Gewalt oder Unfällen und viele andere Dinge, die uns im Leben begegnen.
Das Problem besteht darin, dass man nicht sagen kann, was für eine bestimmte Person traumatisch ist, weil Menschen sehr unterschiedliche Schwellen haben, ab denen Stress zum Trauma wird. Peter Levine sagt, Trauma entsteht im Nervensystem, und nicht im Ereignis. Damit bezieht er sich auf die sehr unterschiedlichen Reaktionen von Menschen auf stressige Ereignisse. Man könnte also sagen: Ein Trauma entsteht dann, wenn ein Ereignis zu plötzlich, zu schnell und zu massiv für einen Menschen geschieht, so dass seine Bewältigungsmechanismen weit überfordert sind.“
Wobei es nicht immer ein Ereignis sein muss. Dami Charf benennt in ihrem Blog-Beitrag „Was ist ein Trauma“ u. a. das Entwicklungstrauma: „Entwicklungstrauma kann auch entstehen, wenn Menschen nicht genügend Bindung bekommen, sie sich zu wenig gesehen fühlen, sie schreien gelassen werden, es Bindungsunterbrechungen gibt, zum Beispiel Krankenhausaufenthalte. All diese Situationen, die eher im feineren zwischenmenschlichen Bereich liegen, aber eine gravierende Wirkung auf unser Leben haben, können zur Entstehung von Entwicklungstrauma beitragen.“
Ich empfehle die Lektüre dieser Beiträge sehr. Der erste Artikel beschreibt auch ganz wunderbar, was bei einem Trauma passiert.
Trauma ist immer subjektiv. Ob sich etwas traumatisch auf einen Menschen auswirkt, hängt von den individuellen Umständen und Verarbeitungsstrategien ab. Viele diagnostizierte Stresssymptome gehen m.E. auf posttraumatischen Stress zurück. Und Stress ist auf Dauer gefährlich und kann auch zu Erkrankungen wie Krebs führen.
Wenn wir Stress haben, fühlen wir uns bedroht. Und wenn wir uns bedroht fühlen, übernimmt das ältestes unsere Gehirnareale die Führung, das sog. Reptiliengehirn (der Hirnstamm), das für unser Überleben zuständig ist. Wir reagieren, meist unbewusst, in einem seiner Grundreaktionsmuster: Fight, Flight oder Freeze (Kampf, Flucht, oder wenn beides aussichtslos ist, Einfrieren/Totstellen). Deswegen sagen wir dann vielleicht Dinge, die wir später bereuen, werden laut oder sprach- bzw. reaktionslos.
M.E. ist es sehr wichtig, sich diese Vorgänge bewusst zu machen, um diesen Kreislauf aus Angst, Stress, unbewusster Reaktion und anschließender Angst verbunden mit (neuem) Stress zu durchbrechen. So können wir Pausen schaffen, Stresspausen, aber auch Reaktionspausen, d.h. Pause zwischen Stressauslöser und Re-Aktion. Dann reagieren wir vielleicht gelassener, überlegter, haben Zeit, unseren Körper zu beobachten, und – falls keine tatsächliche Gefahr besteht – zu bleiben und zu lernen. Denn unser Körper spielt bei der Heilung von Trauma eine entscheidende Rolle. Traumatische Erfahrungen lassen sich nicht löschen, aber wir können neue Erfahrungen machen, so dass die alten vielleicht verblassen.
Auf dem Gebiet der Traumaforschung tut sich grad viel, und das ist gut. Wir brauchen ein neues, erweitertes Traumaverständnis und mehr Fokus auf diesem Thema.
Für mich ist das Thema so ein wichtiges Anliegen, weil ich aus Erfahrung weiß, wie Traumafolgen am Leben hindern können, und weil ich davon überzeugt bin, dass das, was wir selbst nicht bearbeiten, weitergegeben wird – in welcher Form auch immer – an unsere Kinder, Enkel und vielleicht auch an Menschen, die wir nicht einmal kennen. Hier ein Blog-Eintrag der FreyMuT Academy zum Thema transgenerationale Traumata.
Wir alle haben unsere Päckchen zu tragen, und in wie vielen davon ein Trauma steckt, das weiß man nicht. Es ist an uns, das herauszufinden.
Wenn ich also versuche würde, Trauma für mich in einem Satz zu definieren, dann ist Trauma eine (meist unsichtbare) Wunde, die bisher nicht heilen konnte und daher noch immer Stress bereitet.