An einem schönen Sommernachmittag waren mein Sohn, mein Hund und ich auf unserem Hof. Mein Sohn spielte, ich baute meine neu gekaufte elektrische Heckenschere zusammen, und mein Hund genoss die Sonne. 

Plötzlich standen die Nachbarshunde auf unserem Hof, direkt vor uns. Keine Ahnung, wo die beiden so schnell und lautlos hergekommen waren, wir alle hatten sie nicht kommen hören. Normalerweise sahen wir sie nur hinter dem Zaun des Nachbargrundstücks. Sie bellten immer unheimlich laut und aggressiv, wenn wir vorbeigingen. 

In dem Augenblick, als ich die Hunde sah, wusste ich intuitiv, dass das nicht gut gehen würde. Und Sekunden später hing der größere von den zwei Hunden meinem etwa halb so hohen Hund an der Kehle. Ich begann zu schreien, fast nicht hörbar, weil ich steif vor Schreck war. Mein Sohn rannte blitzschnell weg. Und mein Hund versuchte ich zu wehren, was schwer war gegen diesen übergroßen Angreifer. 

Ich fühlte mich so hilflos. Meine Schreie verhallten, ohne dass sie jemand hörte. 

Aber etwas trieb mich an – der Gedanke an meinen Hund: mein Hund war in Lebensgefahr, ich musste ihm helfen! Zunächst versuchte ich, mit bloßen Händen dazwischenzugehen. Glücklicherweise funktionierte mein Selbstschutz und mir wurde klar, dass das nix bringen würde außer Wunden an meinen Händen. Da fiel mein Blick auf die fast fertig zusammengebaute Heckenschere. Ich nahm sie und schlug ohne Nachzudenken auf das Hinterteil des Angreiferhundes ein. Es funktionierte. Er ließ von meinem Hund ab. Mein Hund, kaum frei, flüchtete. Und die anderen beiden Hunde hinterher. Ich lief ihnen, barfuß und mit der Heckenschere bewaffnet, nach. 

Bis heute weiß ich nicht, wie ich es letztlich geschafft habe, meinen Hund in den eingezäunten Bereich unseres Grundstückes zu bekommen und die anderen Hunde vom Hof zu jagen. Aber ich habe es geschafft. Und mein Hund hat den Angriff überlebt. Seither reagiert mein Hund überspannt auf jeden anderen Hund, der dem Angreifer auch nur im Geringsten ähnelt. Und mir gefriert das Blut in den Adern, wenn ich irgendeinen unangeleinten Hund sehe, und an jedem Grundstück mit bellendem Hund laufe ich ängstlich und nur sehr ungern vorbei.

Unser Körper ist so eingerichtet, dass er in Stress- und Notsituationen ganz automatisch reagiert, wie bei Tieren auch. Wir reagieren aus dem Reptiliengehirn mit Fight, Flight oder Freeze. Mein Sohn ist geflüchtet, ich bin zunächst eingefrorenen und habe danach gekämpft. Mein Hund hat erst gekämpft und ist danach geflüchtet. 

Normalerweise kehrt der Körper nach dem Vorfall zurück zu „Normalbetrieb“. Trauma entsteht, wenn die Energie (oder ein Teil davon), die vom Körper für die Notfallreaktion bereitgestellt worden ist, um kämpfen oder schnell fliehen zu können, im Körper verbleibt.

Peter Levine beschreibt in seinem Buch „Sprache ohne Worte“ von der Behandlung einer Trauma-Patientin, die an Schilddrüsenüberfunktion, Migräne, Erschöpfung, chronischen Schmerzen und heftigen prämenstruellen Beschwerden sowie an Platzangst und Panikattacken litt. In seiner Praxis brachte er sie intuitiv dazu, vor einem imaginären Tiger wegzurennen. Sie machte im Sitzen Lauf-Bewegungen, ihre Körper schüttelte sich, rannte vor etwas davon. Erst nach etwa einer Stunde klang das Schütteln langsam ab und sie entspannte. Das „Wegrennen“ hatte bewirkt, dass die durch die Traumatisierung „gefangene“ Energie freigesetzt werden konnte und es ihr danach besser ging. Die Patientin hatte als Kind eine traumatische Erfahrung mit einer Mandel-Operation gemacht.

 

Trauma-Symptome sind individuell und unterscheiden sich auch je nach Trauma (bspw. ob es sich um ein Schock- oder Entwicklungstrauma handelt).

Dami Charf schreibt: „Im Normalfall hat man eine Vermischung von Entwicklungstrauma und Schocktrauma vor sich, die einen Wechsel zwischen verschiedenen Interventionen notwendig machen. Hier zeichnen sich die Trauma-Symptome häufig subtiler ab, sodass es erschwert wird, traumatisierte Menschen zu erkennen. Zu den Symptomen zählt etwa eine Übererregung, bei der sich das ganze Nervensystem ständig auf einem sehr hohen Aktionslevel befindet.

Wenn es nicht ein einzelnes gravierendes Erlebnis als Auslöser für ein Trauma gibt, spricht man von einem Entwicklungstrauma. Es kann etwa durch langanhaltenden Stress entstehen oder dann, wenn ein Mensch in der eigenen Kindheit unzureichend Bindung und Fürsorge von seinen Eltern erhalten hat. Da eine solche Traumatisierung über einen langen Zeitraum stattgefunden hat, setzen sich die Folgen in unserer Persönlichkeit fest. Betroffene sind häufig nicht im eigenen Körper angekommen und haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle und ihre Bedürfnisse zu erfühlen. Derart traumatisierte Menschen zu erkennen, ist nicht einfach. Daher wissen viele auch selbst nicht, dass sie unter den Folgen eines Entwicklungstraumas leiden.“

In ihrem Artikel Verdrängtes Trauma und seine Symptome schreibt die FreyMuT Academy: „Die Symptome von verdrängtem Trauma können [...] sich wie folgt äußern:

  • Bauchschmerzen und Magen- und Darmbeschwerden
  • Ein Gefühl von innerer Unruhe in bestimmten Situationen
  • Extreme Anspannung, häufig kombiniert mit Kopf- oder Rückenschmerzen
  • Schnelle, flache Atmung sowie Herzrasen
  • Probleme beim Einschlafen oder Durchschlafen
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Starke oder stark schwankende Emotionen

[…]

Bei Kindern muss der Auslöser für hohen emotionalen Stress nicht immer ˏkatastrophaler Naturˊ sein – entscheidend ist die psychische Verfassung des Kindes sowie die Unterstützung, die es aus seinem Umfeld erfährt oder die ihm aus jenem verweigert wird. Für ein Kleinkind kann unter Umständen sogar der frühzeitige ˏTodˊ des Lieblingskuscheltiers in der Waschmaschine und die unempathische Reaktion der Eltern mit Sätzen wie ˏJetzt stell’ dich doch nicht so an, ich kaufe dir ein neues Kuscheltier!ˊ, ein solches Ereignis darstellen.

Die Symptome, die auf eine Traumatisierung hinweisen, können oft sehr unterschiedlich sein:

  • Aufmüpfigkeit
  • Schlechte Konzentrationsfähigkeit
  • Hohe Sensibilität
  • Hyperaktivität
  • Zurückgezogenheit

Zeigt das Kind wiederholt Auffälligkeiten, kann das auf nicht verarbeiteten emotionalen Stress hindeuten. Dann ist es ratsam zu untersuchen, an welcher Stelle die Grundbedürfnisse des Kindes nicht befriedigt wurden.“

 

Ich habe mehrere Traumata. Einige davon liegen vor meiner Geburt. Andere sind in meiner Kindheit zu verorten. Meine Krebserkrankung, die damit verbundene Chemo-Therapie und die Operationen waren ebenfalls traumatisch für mich.

Da ich Zeit meines Lebens an sich immer gut „funktioniert“ habe, sind die Traumata nicht aufgefallen. Ich war ein „pflegeleichtes“ Kind, gut in der Schule, regelgetreu und auch später als Jugendliche nach außen hin voll funktionstüchtig.

Innerlich sah es anders aus. 

Als Kind war ich unglaublich ängstlich, wollte nicht allein sein, nicht ohne Licht schlafen, hatte Angst vor anderen Menschen, auch Kindern. 

Als Jugendliche schien ich zurückgezogen, schüchtern. Meine innerlichen Konflikte fielen kaum jemandem auf. Und ich selbst schwankte zwischen Funktionieren und dem Gedanken, diese Welt zu verlassen. Im Nachgang betrachtet hatte ich damals wohl schon Depressionen. 

Ich hatte seit meiner Jugend mit Süchten zu tun, v.a. mit gesellschaftlich akzeptierten wie Alkohol, Rauchen, Arbeit, so dass auch das kaum aufgefallen ist. 

In großen Runden habe ich mich nie wohlgefühlt, ich meide Menschenansammlungen, wenn möglich.

Ich hatte Schlafprobleme, Albträume, Verspannungen, Muskelschmerzen und oft Bauchkrämpfe, die medikamentös als Magenschmerzen behandelt wurden, obwohl es wohl Krämpfe meines Solarplexus waren und/oder meine überforderten Bauchspeicheldrüse. Ich hatte verschiedene Krankheiten, die immer wieder aufflammten, wie bspw. Hals- und Mandelentzündungen. Ich hatte hormonelle Probleme, und über viele Jahre lang bekam ich nur ein oder zweimal im Jahr Menstruation, dann aber umso heftiger. Emotionale Achterbahnbahnfahrten sind bei mir bisher Alltag gewesen. Mit Anfang 20 wurde ein gutartiger Krebs an meiner Schilddrüse entdeckt. Als ich Anfang 30 war, begann dieses Karzinom so stark zu wachsen, dass es entfernt werden musste. Zwei Jahre später hatte ich einen pflaumengroßen Krebs in meiner Brust, bösartig und ebenfalls extrem schnell wachsend. 

Ich war immer mehr im Außen als bei mir selbst, achtete darauf, wie es den anderen ging, war auf der Hut. Und achtete dabei nicht darauf, wie es mir ging. Ich weiß nicht, wann ich das Gefühl für meine Bedürfnisse verloren hatte, und ob ich es je hatte. Es hat sehr lange gedauert, bis ich überhaupt erkannt habe, dass ich dieses Gefühl nicht habe. Seither arbeite ich daran, es (wieder) zu finden. Ich versuche zu lernen, zu spüren, v.a. mich, meinen Körper, meine Bedürfnisse. Überhaupt erst einmal in meinem Körper anzukommen, der mein Zuhause ist für dieses Leben.

Hier noch ein Link zu interessanten Blogbeiträgen von Dami Charf zum Thema Dissoziation und Funktionieren.