Unterstützung suchen.

Auch wenn das für mich das Schwerste war – mir einzugestehen, dass ich an diesem Punkt nicht allein weiterkam. Ich war es gewöhnt, wenn möglich immer alles allein zu schaffen. Auch wenn das letztlich ein Trugschluss war. Kein Mensch kann etwas ganz allein schaffen. Wir benötigen immer Unterstützung von anderen Menschen.

Erkannt habe ich, dass ich Unterstützung benötige, als ich eines Tages beschloss, zu bleiben. Auf dieser Welt, an diesem Ort, mit den mich umgebenden Menschen. Als der Beschluss stand, standen auch meine alten Wunden vor mir und meinten einhellig: Das wollen wir auch! 

Bis dahin war ich vor ihnen auf der Flucht gewesen, ohne es zu merken. An diesem Punkt wurde mir klar, dass ich, wenn ich wirklich bleiben wollte, lernen musste, mit meinen Wunden zu leben, dass sie nicht einfach weggehen würden. Und dass ich keine Kraft und Lust mehr hatte, vor ihnen wegzurennen.

Ich hatte auch versucht, diese Wunden bzw. die damit verbundenen Erinnerungen, Gefühle, Erlebnisse – was auch immer mir davon bewusst war – wegzuwerfen. Wie Steine ins Wasser. Das Problem war, dass diese Steine wohl unsichtbare Stricke hatten. Denn nach und nach kamen sie zu mir zurück, wie Bumerange, rammten mich, trafen mich härter als zuvor. Und manchmal kamen sie auch alle auf einmal und warfen mich einfach um.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich Unterstützung zu holen. Wichtig ist zunächst das Erkennen, dass man Unterstützung benötigt. Manchmal reicht ein Verdacht, ein Gefühl, dass das passen könnte. Dann kann man sich zum Thema belesen, mit Menschen sprechen, die damit Erfahrung haben. Vielleicht betrifft es einen nicht selbst. Auch in so einer Situation kann es helfen, sich zu belesen und Menschen mit Erfahrung zu Rate zu ziehen und dann mit dem Betroffenen zu sprechen.

Es gibt mittlerweile viele gute Angebote, die einen auch in der persönlichen Entwicklung weiterbringen. Einige davon habe ich unter Interessante Seiten eingestellt. Es ist nur eine Auswahl. Viele davon habe ich selbst ausprobiert.

Was außerdem wichtig ist, sind die Punkte, die ich bereits unter AS -> Was tun? erwähnt habe:

  • Aufrichtiges Interesse
  • Kennenlernen
  • Akzeptanz
  • Verständnis
  • Aufmerksamkeit
  • Zuneigung
  • Zeit

Das gilt für mich selbst genauso wie für (betroffene) Menschen in meinem Umfeld.

Zeit spielt eine sehr wichtige Rolle. Mittlerweile denke ich, dass diese alten Wunden tatsächlich heilen können. Es werden sicherlich Narben bleiben, doch mit Narben lässt sich gut leben, wie ich aus Erfahrung weiß. Doch es dauert. Lange. Viel länger, als ich bisher angenommen hatte. Und vielleicht ist es ein Prozess, bei dem es um den Weg geht, und das Ziel eher so eine Art Polarstern ist. Sicherlich ist es von Mensch zu Mensch verschieden, wie lange Wundheilung dauert. Aber ich möchte dringend von Angeboten abraten, die eine Traumaheilung in kurzer Zeit versprechen. Diese alten Wunden zu heilen, alte Muster zu „umgehen“, neue Weg zu bauen, MUSS dauern. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und auf ausgetretenen Pfaden läuft es sich nun einmal besser.

Dami Charf schreibt in ihrem Buch „Auch alte Wunden können heilen“: „Traumata nehmen im Gehirn eine besondere Stellung ein. Sie sind tief im Stammhirn gespeichert, und jeder Erinnerung an ein altes Trauma löst den Überlebensreflex aus. Dadurch wird die Vernunft quasi ausgehebelt. Traumatische Erlebnisse sind sehr prägende Lernerfahrungen, da sie mit großer Angst gekoppelt sind. Das Gehirn setzt deshalb alles daran, sich dieses Erlebnis zu merken und wie wir es überlebt haben. Das führt später zu vielen ˏFehlschlüssenˊ im Gehirn und damit zu frustrierenden und schmerzlichen Erfahrungen.“

Mir fällt dazu die Geschichte vom angeketteten Elefanten ein, aus Jorge Bucays Buch „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“.